Krieg im Libanon

Eine von Christen bewohnte Stadt wird belagert.

Es kommt zum entscheidenden Angriff.

Der damalige Pfarrer berichtet.

 

Im Jahr 1976 war ich Pfarrer einer Stadt mit 25.000 Einwohnern, alles maronitische Christen. Die Stadt liegt am Ufer des Meeres, 15 Kilometer von Beirut entfernt, im Süden auf der Straße nach Sidon. Damals wurden wir 12 Tage lang von 16.000 ausländischen Kriegern belagert: Syrer, Palästinenser, Iraner... Es gab schwere Bombardements. 72 Einschläge in der Minute. Alles floh in die Keller.

Ziel der Aktion war die Ausmerzung dieser christlichen Stadt, um in dieser Region Bewegungsfreiheit für die kämpfenden Truppen zu schaffen. Dabei hatte ich als Pfarrer ausgezeichnete Beziehungen zu allen benachbarten muslimischen Dörfern. Wir sind also in unseren Verstecken. Da kommt der Angriff. 50 Menschen wird die Kehle durchschnitten. Kinder sind darunter. Panik. Es ist Mitternacht. Wer nicht mit dem Auto oder dem Fahrrad zum Meer flüchten kann, stürzt in die Kirche. Die Glocken läuten Sturm.

Ich versuche mit allen Kriegsparteien Kontakt aufzunehmen. Keine Antwort. Ich rufe den Sozialistenchef, den seither verstorbenen Jumblatt, einen Freund, an. Er rät mir, mich an Yassir Arafat zu wenden. Dieser sagt mir: Wir greifen aus strategischen Gründen an. Aber der Bevölkerung passiert nichts. Um ein Uhr: Kein Wasser mehr, kein Telefon, kein Strom. Der Angriff rollt. Die Häuser gehen in Flammen auf. Die Alten werden erstochen... Und wir sind nun in der Kirche. Rund 500 Leute habe ich da vor mir. Leute, deren Kinder, Gatten oder Eltern ich in den letzten Tagen begraben hatte: 582 Leichen. Die Tränen fließen. Rund um uns der Feind. Man hört das Schreien der Menschen, die in den Flammen umkommen.

Die Leute sagen mir: "Abuna (Vater), was sollen wir tun?" Ich wusste es nicht. "Aber ich weiß eines: Es gibt Einen, der es weiß, der Heilige Geist," gab ich zur Antwort. "Jetzt oder nie rufen wir Ihn an. Kniet euch nieder!"

Zwei Stunden beteten wir. Dann klopft es an der Tür. Heftig. Unser erster Gedanke: Jetzt kommen sie. Ich öffne, um zu sagen: "Nehmt mich als Geisel, schont Frauen und Kinder." Aber es waren zwei Pfarrangehörige auf der Flucht. Sie hatten die weiße Fahne auf die Kirche stecken wollen, waren aber beschossen worden...

Daraufhin sagte ich zur versammelten Menge: "Brüder und Schwestern, im Ave Maria sagen wir: Bitte für uns jetzt und in der Stunde unseres Todes. Die Stunde unseres Todes ist gekommen. Wenn wir die Gottesmutter um Fürsprache bitten, dann wird sie uns erhören. Wir sind erwählt worden, Märtyrer im 20. Jahrhundert zu sein. ... Es genügt nicht, stolz auf die Märtyrer von einst zu sein, die uns das Leben ermöglicht haben. Wenn nun von uns verlangt wird, die Märtyrer des 20. Jahrhunderts zu sein, sollten wir uns glücklich schätzen. Ich weiß, dass diese Worte fünf Minuten vor dem Tod schwer anzunehmen sind. Aber eines weiß ich: Der Heilige Geist allein kann euch den Mut dazu geben. Denselben Mut, den er den anderen Märtyrern gegeben hat, die singend in den Tod gingen.

Eines aber muss ich von euch verlangen: Wir dürfen nicht mit Hass im Herzen sterben! Menschlich - unmöglich. Keine Religion verlangt, den Feinden zu vergeben. Nur Christus sagt uns: Vergib deinen Schuldigern. Wenn wir als Christen gelebt haben, dann dürfen wir jetzt nicht als Heiden sterben und Hass im Herzen haben. Euer Tod wird die Christen in diesem Land retten..."

Ich wusste damals: Das war nicht ich, der da sprach.

Eines stand fest: Zuerst vergeben, dann wird uns der Heilige Geist führen.

Daraufhin begannen wir, das Vaterunser zu beten. Ich versichere Ihnen: Zum ersten Mal in meinem Leben (als Priester!) habe ich begriffen, was es heißt zu sagen: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und ich konnte dasselbe von den Gesichtern meiner 500 Pfarrangehörigen ablesen, als sie sagten: Wir vergeben!

Es war eine Stunde der Gnade. Nur der Herr vermag unsere Herzen aus Stein in Herzen aus Fleisch zu verwandeln. Dann sagte ich: "Kniet nieder, sprecht die Bußformel. Zum ersten Mal werde ich euch eine Generalabsolution geben." Danach sangen wir kniend ein Lied, das ich zehn Jahre zuvor komponiert hatte: "Wenn Du, Herr, mich bei der Hand hältst, will ich alle Wege gehen, dunkle und helle...."

Kaum war das Lied zu Ende, stürzen zwei Jugendliche in die Kirche und rufen: "Rasch, lauft zum Strand! Wir decken eure Flucht." Und tatsächlich: Unsere Flucht gelang. Boote nahmen uns am Ufer auf. Drei Tage waren wir mit ihnen im strömenden Regen unterwegs. Dann waren wir gerettet...

Auszug aus einem Zeugnis von Pater Mansour Labaki bei einem Treffen der Gemeinschaft Emmanuel in Paray le Monial.

 

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