Rund 500.000 Menschen wurden im Bürgerkrieg in Ruanda ermordet.

Kann es da jemals wieder zu einer nationalen Versöhnung kommen?

 

 

Ohne Hoffnung auf Gott muss man zu dem Ergebnis kommen, dass Vergebung in Ruanda unmöglich ist. Man muss das Ausmaß der Tragödie, durch die wir gegangen sind, bedenken. Und doch! Der Herr ist am Werk. Vergebung ist möglich. Und dann folgt die Versöhnung, die wiederum zur Brüderlichkeit führt."

Der diese Worte spricht ist durch Feuer und Blut gegangen: Jean-Marie Twambazemungu ist Hutu, seine Frau Stéphanie Tutsi, wie viele ruandesische Paare. Für sie gibt den Ausschlag, dass sie Christen sind. Und Christ zu sein, bedeutet, alle als Brüder anzusehen, weil alle Kinder desselben Vaters sind. "Und weil der Vater uns vergibt, in welcher Lebenslage wir auch sein mögen, so bedeutet unser Entschluss, Kinder des Vaters zu sein, dass auch wir vergeben und um Vergebung bitten, was auch immer geschehen mag. Auf diese Weise kehren die Kinder Ruandas Schritt für Schritt ins Haus des Vaters heim."

Der Weg der Vergebung ist aber ein Kreuzweg. Für Jean-Marie und Stéphane folgten seine blutigen Stationen Schlag auf Schlag, nachdem die Massaker begonnen hatten. "Es war "zwei Monate lange ein Abstieg in die Hölle mit dem Herrn."

Erste Station: Cyprian und Daphrose Rugamba, die Gründer der Emmanuel-Gemeinschaft in Ruanda werden zusammen mit ihren sechs Kindern mit Gewehrschüssen niedergemetzelt. Am Vorabend hatten sie Jean-Marie und Stéphanie Anweisungen für die Zukunft der Gemeinschaft gegeben, obwohl nichts auf das bevorstehende Drama hingedeutet hatte. Plötzlich war also Jean-Marie verantwortlich für die Gemeinschaft... Er erlebt mit, wie einer ihrer Brüder erschossen wird, muss mit seiner Frau fliehen: Weil sie für den Frieden eintreten, stehen sie auf der Liste der zu Ermordenden.

Stéphanie erzählt: "Ich war überhaupt nicht im Frieden. Mein Herz war voller Hass, der mich von Gott entfernte. Ich konnte mich einfach nicht damit abfinden, sterben zu müssen, umgebracht mit einer Machete. Diese Anspannung hinderte mich, dem Versprechen Gottes zu glauben, der uns beiden zugesagt hatte, dass wir zwar leiden, aber nicht sterben würden, so wie Daniel in der Löwengrube und Jonas im Bauch des Fisches."

"Wir beschlossen zu beten, um im voraus jenen verzeihen zu können, die uns töten wollten.Als es mir gelang für die Mörder zu beten und den Tod, den Gott für mich bestimmen würde, anzunehmen, empfing ich Frieden und Freude im Herzen. Die Angst war besiegt."

Ohne zu wissen wie, gelingt es ihnen die Sperren der Miliz, die sie mit scharfen Handgranaten bedrohen, zu passieren. Bei jeder Etappe danken sie dem Herrn, der sie in allen Gefahren behütet. Ein Freund versteckt Stéphanie und die Kinder. Jean-Marie verkriecht sich zwei Wochen lang, bis er erwischt wird.

Neue Station, am Fuß des Kreuzes: Den Gewehrlauf an der Schläfe vor der Grube stehend, opfert Jean-Marie sein Leben dem Herrn auf. "Ich habe meinen Entschluss zu verzeihen erneuert, habe dadurch Freude ins Herz bekommen und ein Lächeln überzog mein Gesicht. Hinter mir, mit dem Finger auf dem Abzug hat sich mein Mörder geärgert und mich gefragt, warum ich keine Angst habe. Ich gab zur Antwort: ,Wer betet, hat keine Angst.' Er fragte mich, was ich denn das: ,Beten um den Frieden'."

An diesem Tag konnte Jean-Marie sein Leben gegen ein Radiogerät einlösen.

... "Die Vergebung muss aber jeden Tag erneuert, die Versöhnung muss im Alltag gelebt werden". Am Ende des Krieges hebt Stéphanie ein am Straßenrand liegendes achtjähriges Mädchen, Uwamahoro, auf. In ihrem Autismus eingesperrt ist sie so schwach, dass sie nur mit Mühe gehen kann. Dank der Zuwendung beginnt sie sich langsam zu öffnen, wie eine Blume, die man begießt. Jean-Marie und Stéphanie erfahren, dass sie von denen, die sie aufgenommen hatten, verjagt worden war, nachdem die Leute entdeckt hatten, dass ihr Bruder Tutsis ermordet hatte.

Stéphanie muss jetzt in sich all das bekämpfen, was sie menschlich gesehen dazu drängt, das Kind auch ihrerseits fortzuschicken. Sie will sie in ein Waisenhaus stecken. Freunde meinen, es sei Wahnsinn, sie zu behalten. Mit ihrem Mann bittet sie Gott, Seinen Willen kundzutun, indem er Uwamahoro - immer noch traumatisiert und stumm - die Sprache zurückgibt. Am letzten Tag der Novene beginnt das Kind zu sprechen wie ein Wasserfall. Kein Zweifel, man muss sie behalten... Gott wird für sie sorgen.

Neuerliche Prüfung einige Monate später. Jean-Marie und Stéphanie haben eine Cousine von Stéphanie, Jeanne, die aus den Massakern gerettet wurde, bei sich aufgenommen. Jeanne und Uwamahoro leben wie Schwestern miteinander. Bis eines Tages Jeannes Tante entdeckt, dass Uwamahoros Familie die Familie ihrer Nichte ermordet hat. Der Tante, die verlangt, dass man die Schwester dieser Mörder verjagt, antwortet Stéphanie: "Ich bin in erster Linie Christ. Das Zusammenleben der beiden Mädchen ist vor allem Gottes Angelegenheit." Diese von der Tante sehr schlecht aufgenommene Antwort wird dennoch den Weg in ihr Herz finden und sie zur Umkehr bewegen. Heute haben Vergebung und Versöhnung auch sie gewonnen. Und Jeanne und Uwamahoro lieben einander wie Schwestern.

Mit ihren Brüdern und Schwestern der Gemeinschaft ziehen Stéphanie und Jean-Marie durch Ruanda, um zu bezeugen, dass die Liebe stärker ist als der Hass. In Butaré im Süden des Landes haben sich durch den Genozid verwitwete Frauen mit den Frauen der Häftlinge (der Mörder ihrer Männer!) zusammengetan, um diesen gemeinsam Essen zu bringen.

In Gitaram, im Osten, sind sie in die Gefängnisse gegangen, um dort die Gute Nachricht zu verkünden. Die Häftlinge haben daraufhin gebeten, die Familien jener treffen zu dürfen, die sie ermordet hatten, um sie um Verzeihung zu bitten. Überall gestehen im Gefolge solcher Evangelisationseinsätze Tausende von Inhaftierten ihre Verbrechen und bitten vor der Justiz um Vergebung.

Auszug aus "Famille Chrétienne" v. 25.3.99

Von Sabine Chevallier

 

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